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Als ich das erste Mal in den Genuß eines Stückes der Solinger
Band S.Y.P.H. kam, geschah dies auf dem Höhe- bzw. Tiefpunkt
meiner Besessenheit mit jenem marktstrategisch gewieften
Phänomen, das sich "Neue Deutsche Welle" nannte und in dessen
Fahrwasser gelegentlich wirklich feine Sachen mit an die Gestade
geschwappt wurden. Die Musiker hatten sich auf einen ohnehin
bereits relativ hörbaren "Teldec"-Sampler geschlichen, auf dem
u.a. auch Bands wie Mittagspause, Der Plan und The
Wirtschaftswunder zu hören waren. Das dort verwendete (ansonsten
unveröffentlichte) Stück nannte sich "Laber Larry". Es beginnt
mit einem sehr langweiligen Radiosprecher, dessen Monoton sofort
abgewürgt wird von einer Katastrophe schweren Ausmaßes. Diese
Katastrophe bricht herein in Gestalt einer rückwärts
aufgenommenen (oder abgespielten, was weiß ich) Fräsgitarre, die
sich zu einem unerbittlich dahinstampfenden Basslauf in die
Gehörgänge drückt, gelegentlich unterbrochen von Tape-Einsprengseln
undefinierbarer Abkunft. (Vermutlich derselbe Radiolangeweiler
in unterschiedlichen Geschwindigkeiten...)
Diese experimentelle Obskurität faszinierte mich bereits zu
einer Zeit, als Flugsaurier noch am Himmel kreisten und das
Fußball-Ballett unschuldige Gemüter mit den Segnungen des Humors
bekannt zu machen versuchte. In der Folgezeit füllte sich mein
Plattenschrank mit S.Y.P.H.-Material. Leider tat er das erst zu
einer Zeit, als diese Leckerli bereits monströse Preise auf dem
Plattenmarkt erzielten. Die gezielte Güterumverteilung brachte
mich nicht selten an den Bettelstab - na gut, hier übertreibe
ich ein wenig, aber ich mag die Redewendung so! (Auch schön: Man
warf mir den Bettel hin...)
Während die erste LP von S.Y.P.H. noch sehr leicht als (wenn
auch ungewöhnlich gewitzter) Punkrock empfunden werden mag, so
flossen doch schon in den (meist unbetitelten) Folgeprodukten
zahlreiche experimentelle Einflüsse ein, die sich u.a. in sehr
ausufernden Passagen ausdrücken, in denen die Musiker auf einem
Motiv herumtrommeln, als habe es die sprichwörtliche Gans
gestohlen, oder im gezielten Gebrauch flapsiger Improvisationen.
In dieser Hinsicht unterschieden sie sich sehr von
"benachbarten" Bands wie z.B. Mittagspause, die auch jenseits
ihrer eigenen Qualitäten als freundliche Punk-Knabberware
konsumiert werden konnten.
Mein eigenes Problem mit Punk ist eigentlich immer gewesen,
daß sich die gleichförmige Gestaltung leider auch bald in einer
gewissen Uniformität des Charakters und der Gewandung ausdrückte.
Ich finde das immer recht befremdlich, wenn die vermeintliche
Alternative irgendwann so soldatesk wie ein x-beliebiger Haufen
von Fußballfans daherkommt, zumal man ja doch immer den Anspruch
erhebt, sich von den sortierten Brüdern abzusetzen. Daß Spaß an
der eigenen subversiven Gesinnung sehr viel eher Gehirnschmalz
und Kreativität verrät als stumpf hervorgebrabbelte Gemeinplätze
("Wie lautet die Parole?"), demonstrierten S.Y.P.H.
nachdrücklich, wobei sie auch auf späteren Erzeugnissen nie
allzu weit weg vom Punk agierten.
Die schillerndste Gestalt der Gruppe war sicherlich Frontmann
Harry Rag, der S.Y.P.H. anno 1977 aus der Taufe hob. In den
achtziger Jahren bewegte sich der junge Mann mehr und mehr in
Richtung Kino. Neben einigen Volontariaten bei David Lynch (BLUE
VELVET) und Wim Wenders (DER HIMMEL ÜBER BERLIN) fertigte er
zahlreiche Kurzfilme von meist dokumentarischem Charakter,
häufig in Zusammenarbeit mit dem WDR. Der bekannteste seiner
Filme ist sicherlich NO FRANK IN LUMBERTON, in dem er seine
Impressionen zu den Dreharbeiten von BLUE VELVET verarbeitet.
Gesehen habe ich leider nur DER WUNDERBARE MANDARIN, eine sehr
experimentelle Version von Béla Bartóks gleichnamigem Werk, in
dem auch Leute wie Campino, Tommi Stumpff und Frieder Butzmann
auftauchen. Er gründete die Taris-Filmproduktion, auf deren
Webpage man eine gute Auflistung seiner Erzeugnisse finden kann:
www.taris-film.de. Mittlerweile lebt er zusammen mit der
slowenischen Filmemacherin Maja Weiss in Ljubljana (Laibach).
Ähnlich hingebraatzt wie die Musik (von seinen Kollegen Uwe
Jahnke, Ulli Putsch und Jojo Wolter) war auch Harrys Vortrag der
Texte, der auch vor der Verwendung von Jaul-, Stöhn- und
Greinlauten nicht haltmachte. Die Texte wirken häufig ebenfalls
improvisiert und verwenden eine simple und direkte Sprache,
deren scheinbare Bedeutungsverrutscher zwar oft komisch wirken,
aber sehr schnell äußerst verwirrende Gefühle hervorrufen
können. (Sehr schön z.B. die Alternativversion von "Rocket Man"
auf seiner Soloplatte "Trauerbauer", die als dialektale
Monstrosität beginnt und fast auf Helge-Schneider-Pfaden
wandelt, dann aber auf einmal ernsthafte Momente aus dem Hut
zaubert, die mir das Stück sehr ans Herz geschweißt haben.) Die
Verhutzelung der Worte zeitigt nicht selten sehr poetische
Resultate, und es ist gerade diese Unvorhersehbarkeit, aus der
die Musik von S.Y.P.H. für mich ihren Hauptreiz bezieht. Man
bekommt vermittelt: Die Wirklichkeit ist eine sehr subjektive
Angelegenheit, und wer sich wirklich mit ihr anlegen möchte, muß
sich auf ein Wechselbad der Gefühle einstellen. Die treuen Fans
der Gruppe wissen dieses Wechselbad durchaus zu schätzen, wobei
ein abenteuerfreudiges Gemüt bei der Erschließung des
S.Y.P.H.-Universums durchaus nicht von Nachteil ist.
Hier ein paar ihrer Scheff-Döwres:
1. LP ( 1979):
Bis zum heutigen Tage eine der besten deutschen Punk-Platten.
Mit beherzter Frechheit donnern sich die Musiker durch 10
Stücke, von denen das erste das berühmte "Zurück zum Beton" ist.
Mein persönlicher Favorit bleibt aber "Lachleute +
Nettmenschen", das auf der vor kurzem veröffentlichten und neu
abgemischten CD noch schräger und brachialer wirkt. ("Lachleute
+ Nettmenschen um mich herum, Fassade, Fassade, alles nur
Fassade, Glück + Marlboro für jeden, für jeden...") Auch sehr
schön die Romanze "Industrie-Mädchen" ("...vor Freude riß ich
fast die Hochspannung nieder...") und das sirenige
Schluß-Instrumental "Kisuaheli". Wie einflußreich das Album war,
kann man u.a. daraus ersehen, daß erst 1997 die Punkband Die
böse Hand (mit Mitgliedern der Boxhamsters und EA80) eine
7´´-Coverplatte aufnahm, die im Singleformat sämtliche Stücke
der Beton-Platte in Kurzform durchrasselt und alles in allem
ziemlich viel Spaß macht. Zwar ist diese erste S.Y.P.H.-LP noch
vergleichsweise frei von experimentellen Schlenzern, aber ihre
energische Direktheit wirkt einfach entwaffnend und
inspirierend. Vor der LP war bereits eine EP herausgekommen, die
in meiner Plattensammlung aber durch Abwesenheit glänzt. Auf der
später herausgekommenen Live-Platte (gelbes Cover) kann man aber
einen früheren Auftritt bewundern, bei dem Harry und Co.
scheinbar frei improvisieren, rund um das Thema Industrie +
Kapitalismus... (Die zweite Seite von jenem Album enthält
generellen Dödelkram unterschiedlichen Charakters.)
2. LP/ 3. LP (1980/1981):
Beide zusammen mittlerweile auf einer japanischen CD
wiederveröffentlicht, die dem Käufer die Anschaffung mit einem
manischen Dauergrinsen dankt. Einen großen Einfluß übte bei
beiden Produktionen das "Can"-Urgestein Holger Czukay aus, und
es scheint so, als habe die Anwesenheit dieses hehren Recken den
S.Y.P.H.´lern Mut gemacht, ihre Vorstellungen kompromißlos
durchzusetzen. Während die erste Platte (auf dem Cover "Pst!"
betitelt) noch Ansätze einer kommerziell leichter verdaubaren
Liedstruktur besitzt (insbesondere auf der ersten Seite, mit dem
bekannten "Moderne Romantik"), stellt die zweite ein seltsam
einschmeichelndes Sammelsurium aus langen Instrumentalpassagen
und irritierenden Sprachfetzen dar, das seinen großartigen
Höhepunkt in dem langen "Little Nemo" findet. Das von Czukay
komponierte Stück ist sicherlich eines der eindrucksvollsten
Stücke der Gruppe und versieht jeden Zuhörer mit seinem eigenen
Tiefseetaucherhelm. Formlosigkeit von solcher Anmut finde ich
unbedingt anbetungswürdig!
Harbeitslose (1982):
Juchhei, endlich eine Platte mit Titel! Und zwar eine, in die
ich mich erst einmal eine Zeit lang einhören mußte,
zusammengesetzt aus grundsätzlich netten Liedern und langen
Instrumentalstücken... Mittlerweile finde ich das Album extrem
großartig. Es eignet sich perfekt zur Meditation nach nervigen
Tagen, oder wenn man gerade mehrere Stunden duller Daily-Talk-Sendungen
durchgesessen hat und die gesamte Menschheit aus anorektischen
Infotainment-Muschis und schamlosen Nulpen zu bestehen scheint.
Herr Jahnkes Gitarre brezelt sich quer durch Quebec, während
Harry sehr relaxed herumknurpselt. Zu den
hitparadenverdächtigeren Stücken zählen das neugierige "Hörzu"
("Sangsemal - stimmt das?") und das vollkommen sedierte "Ich
glaub die Liebe". Das Schlußstück "Altbier in Alphaville"
offeriert dann noch einen kleinen Italienischkursus. Die Platte
drückt jede Harbeitslosenquote!
Doppelsingle (1982):
Mein privater Favorit. Auf dem Innencover befinden sich neben
sämtlichen Texten auch zahlreiche Fotos von den Musikern. Damit
aber nicht genug: Die Platte enthält auch Musik, und zwar etwa
20 Minuten davon! In dem wunderbaren "Der Bauer im Parkdeck"
("...der Bauer, der in jedem von uns steckt...") knödelt sich
Harry im Stadium der Volltrunkenheit durch ein Landfluchtdrama,
dem frühe Versionen von "Alte Freundin" und "Traumraum" folgen.
Seite 3 enthält sehr kurze Schrammelstücke, unter denen "Ich bin
so herrlich anonym" hervorsticht, das in einer anderen Version
auch mal auf irgendeinem Tape herausgekommen ist. Bevor dann
eine Endlosrille dem Leben des Hörers ein Ende setzt,
verabschiedet sich die Band mit dem erhabenen "Maschine von
Beruf". ("Else setzt sich neben mir. Else, ich herrsche Dir!
Komm, ich matratz´ dich...")
Am Rhein (1984):
Kaum habe ich diese Platte bekommen, habe ich sie auch schon
wieder verbummelt: So geht das mit vielen schönen Dingen im
Leben! Auf ihr befinden sich u.a. überaus hörenswerte
Studioversionen der Lieder "Ich bin die 11. Frau im Harem" ("...und
möcht´ so gern die 9. werden...") und "Mein Esel ist kaputt".
Außerdem werden die Abenteuer eines Handelsvertreters namens
"Oliver" besungen. Harrys "Schwesterlein" bekommt eine
gefühlvolle Ballade gespendet. Überhaupt ist die Platte relativ
unkrachig, mit Ausnahme von "Die Matchbox-Generation", in dem es
heißt: "Hier gibt es keine Toiletten - hier müssen Sie in die
Hosen machen!" Das habe ich dann auch... Unbedingt erwähnenswert
ist auch die Harry-Rag-Solo-Ten-Inch "Trauerbauer", die nicht
nur mit gefärbtem Vinyl prunkt, sondern auch mit einer Vielzahl
schöner Songs, unter denen aber eindeutig die beiden Versionen
von "Rocket Man" hervorstechen. Speziell auf der zweiten beginnt
Harry mit einem bizarren Helge-Schneider-Dialekt-Geknurpsel, das
dann aber zunehmend mit Emotionen ganz ernsthafter Art verstört:
"Min Vater war ´nen Rocket Man, er liebte die Welt hinter den
Dingen..."
Doppelalbum (1985):
Zusammen mit den Chefplanern von Ata Tak erwirtschaftete man
das weiße Album von S.Y.P.H., das bei der jüngst erfolgten
CD-Veröffentlichung "Wieleicht" betitelt wurde. Die erste Seite
enthält vollkommen radiokompatible Popsongs, unter denen eine
sanfte Version von "Traumraum" ("Das Leben ist vorbei, ich fühl´
mich so alleine, das Leben ist vorbei, ich glaube, ich
weine...") und das scherzhafte "Pamela" hervorlugen. Seite 2
gibt uns einige längere Stücke mit ausgedehnten
Gitarrenpassagen. "Der Junge mit der Sehnsucht" wurde später auf
der EXTREM lauten Liveplatte "Stereodrom" in gleich zwei
Alternativversionen präsentiert, bei denen bleibende
Gehörschäden nicht ausgeschlossen sind. ("Ich war bei Ruth in
Beirut und in Knut in Oslo..."). Ganz vorbei auf Seite 3: Neben
einigen stark punklastigen Stücken gibt es das marschverdächtige
"Tausend nackte Neger" und das debile Stimmungsbild "Vol del
BLD", in dem der Besitzer einer chinesischen Wäscherei über das
Leben in Deutschland reflektiert. Das Stück "Deutsches Kultur
ist scheiße" wurde bei der CD-Veröffentlichung fallengelassen,
was möglicherweise andeutet, daß die Künstler det Dingen nicht
mehr mögen... Im Folgejahr kam noch eine Art Dancefloor-Maxi
heraus, "I Want U", bei der mich die instrumentale B-Seite aber
mehr gekitzelt hat.
Diese CD (gab´s die auch auf Vynil? weißnich! weißnich!)
enthält Material, das zwischen 1989 und 1993 zusammengetragen
wurde, und lebt von einer ähnlich charmanten Sammelsurigkeit wie
die vorangegangenen Werke, nur daß die alten Geschichten hier
mit einigen neuen Protagonisten versehen werden. Während das
punkverwandte "Wo bist du?" auf alten Wegen stromert, bedient
sich "Pechschwarz" sogar lasziver House-Rhythmen; die Wunder
werden nicht alle. Das lustigste Stück ist sicherlich "Ping Pong
und die weiße Frau", das ein und denselben Vers über fast zehn
Minuten gnadenlos repetiert, so lange, bis er fast etwas
bedeutet. So, draußen scheint Mutter Sonne zu heiß - das muß
getz reichen, woll!
Das Neueste vom Tage: Nicht mehr lange, dann wird alles gut.
Denn bald öffnen www.purefreude.de (Harrys berühmtes Label) und
www.syph.de ihre Pforten. Hierüber (hoffentlich) bald mehr...
Dem Vernehmen nach ist geplant, demnächst eine CD mit
ausgewählten Sachen herauszubringen. Wir halten Sie auf dem
Laufenden!
P.S.: Versäumen Sie auch nicht die beiden "Boss und Beusi"-Singles,
mit denen Harry einst außerplanmäßig pure Freude verstreute. Ich
besitze nur die "Shaleika/Sinus"-7``, finde die aber große
Klasse! Andere "Pure Freude"-Releases umfaßten etwa Ralf Dörper,
das Dörper-Projekt Die Lemminge und den glorreichen Jürgen
Dönges...
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